Ich werde grosse Schwester – grosser Bruder 

Nachdem sich ein Familiensystem langsam eingespielt hat und alle Mitglieder ihre Rolle gefunden haben, stellt sich oft die Frage, ob ein weiteres Kind zur Familie dazukommen möchte und wenn ja – wann? Diese Fragen sind sehr persönlich und ein “idealer “ Altersabstand wird von Familien unterschiedlich beurteilt. Es gibt kein generelles richtig und falsch, sondern deine/eure Entscheidung. 

Während der Schwangerschaft 

Schon in der Schwangerschaft kannst du ein Geschwisterkind miteinbeziehen. Mit wachsendem Bauch wird wahrscheinlich das Interesse grösser, was da in Mamas Bauch passiert. Finde einfache, altersgerechte Antworten oder schaut gemeinsam schöne Bücher zum Thema zusammen an.

Es kann aber auch sein, dass dein Kind überhaupt kein Interesse hat. Dann eignet sich ein liebevoller, spielerischer Ansatz ohne Überforderung. Z.B. zusammen Babykleider richten, auspacken, falten. Vielleicht hast du noch einen Strampler von früher, der auch für das neue Baby genutzt werden soll oder das Beistellbett wird wieder hervorgeholt und du zeigst dem Geschwisterkind Fotos, wie es selbst darin lag – das kann eine schöne Verbindung schaffen. 

Häufig beobachten Eltern, insbesondere die Mütter während einer Folgeschwangerschaft, dass ihr Kind vermehrt Körperkontakt sucht und anhänglich wird. Das ist ganz natürlich. Die Mama verändert sich körperlich, vielleicht auch im Energieniveau und Verhalten und das Kind wird etwas unsicher. Und auch hier gibt es wieder Kinder, die plötzlich auf Distanz gehen, sich vollständig an anderen Bindungspersonen orientieren, sich gegenüber der Mama abweisend verhalten oder die kalte Schulter zeigen. Beides zeigt sich manchmal auch im Wechsel. 

Diese neuen Verhaltensweisen der Kinder empfinden die Eltern oft als sehr herausfordernd, insbesondere die Mütter, wenn sie sich hauptsächlich um die Kinder kümmern. Die Anhänglichkeit oder Ablehnung wirkt sich emotional aus und braucht zusätzliche Kraft. Mamas, die Ablehnung erfahren, wünschten sich, das Kind wäre anhänglicher und vermissen die innigen Momente. Mütter, denen das klettenhafte Verhalten zu viel wird, wünschten sich, das Kind würde sich mehr am Papa/der Zweitmama orientieren. Was Eltern jetzt helfen kann, sind Geduld, Verständnis UND – ganz wichtig – Bereitschaft, um einerseits tatsächlich auch loszulassen, wenn das Kind die Klammerung löst, um sich an anderen Bindungspersonen zu orientiert oder um die Arme wieder ganz weit zu öffnen, wenn das Kind sich dem abgewiesenen Elternteil plötzlich wieder nähern möchte. 

Die Geburt 

Wenn ihr zur Geburt ins Geburtshaus aufbrecht (oft nachts, früh morgens), ist das meist ein aufregender Moment. Empfehlung: Ihr habt vorher andere Bezugspersonen als “Hüeti” eingeführt und ausprobiert, sodass ihr mit gutem Gewissen losfahren könnt und die Bezugsperson beim schlafenden Kind bleibt. Weckt es besser nicht auf, um euch zu verabschieden – warum?  

Die Mutter hat vielleicht Schmerzen, der Vater ist allenfalls angespannt. Das Kind, das nachts aus dem Schlaf geholt wird, ist womöglich durcheinander und verwirrt. Ausserdem spürt es mit grosser Sicherheit die Aufregung. Es könnte dadurch verunsichert werden, und gepaart mit der Müdigkeit wird der Abschied schwerfallen. Dies wiederum kann sich bei der Mama ungünstig auf den Geburtsablauf auswirken. 

Es ist aber wichtig, mit dem Kind bereits im Voraus das „Szenario“ zu besprechen. So ist es vorbereitet, wenn es morgens von der Oma begrüsst wird. Und oft zeichnet sich schon vor dem Schlafengehen ab, dass die Geburt nachts losgehen könnte, worauf das Kind dann sorgfältig vorbereitet werden kann.

Erstes Aufeinandertreffen vom Geschwisterkind und dem Baby 

Beim ersten Aufeinandertreffen empfehle ich den Eltern immer zu schauen, dass die Mama nicht gerade am stillen ist oder das Baby hält, sondern dass es neben ihr oder im Bettchen liegt. So hat die Mama beide Arme frei, um das Erstgeborene liebevoll in den Arm zu nehmen und zusammen das Baby zu begrüssen. Wichtig ist auch, dass dieser Moment der Kernfamilie vorbehalten ist.  

Der Alltag mit zwei/mehreren Kindern 

„Ich kann mir noch überhaupt nicht vorstellen, wie ich das mit zwei/mehreren kleinen Kindern schaffen soll!” Dies ist ein Gedanke, der sich bei allen einstellt. 

Wenn du es in den ersten Wochen schaffst, dich auf das Wichtigste – die Kinder zu lieben – zu konzentrieren und alles andere zu delegieren oder einfach warten zu lassen, dann schaffst du eine wunderbare Grundlage für euren Start als vergrösserte Familie. 
Ich weiss aus eigener Erfahrung, wie unangenehm es sein kann, gefühlt “gar nichts zu schaffen” nach der Geburt eines kleinen Babygeschwisters. Wenn wir unsere Ansprüche jedoch herunterschrauben und Stimmen im Kopf ausschalten oder sie zumindest leiser stellen, dann fällt es viel einfacher, über die Staubmäuse in der Ecke hinwegzusehen oder die Kleider direkt aus dem Wäschekorb zu fischen ohne sie vorher ordentlich gefaltet und im Schrank versorgt zu haben. 

Frage dich bereits vor der Geburt: Welche Dinge können getrost ein paar Wochen warten und welche Aufgaben kann ich unmöglich warten lassen, sie jedoch delegieren? Fürs Delegieren eignen sich nicht nur Partner und Grosseltern, sondern auch Freunde, Göttis oder Nachbarn. Organisiere die Hilfe vorausschauend bereits vor der Geburt und sprich dich mit deinem Partner/deiner Partnerin ab. 

«Der Trick ist, dass wir nicht alles schaffen müssen, sondern nur das Wichtigste: unsere Kinder lieben.»  Das Zitat von Nicola Schmidt stammt aus dem Buch „Geschwister als Team“. Es liest sich leicht und ist vollgepackt mit alltagsnahen und gut umsetzbaren Tipps. Nicht nur für die erste Zeit mit Geschwistern, sondern auch für die Jahre danach. 

Wenn die Eifersucht kommt 

Nun ist das Baby da, und die Aufmerksamkeit der Mutter/der Eltern teilt sich zwangsläufig auf – das kann schnell zu Frust und Wut führen. Auch hier hilft Einfühlungsvermögen, Geduld und Zeit, bis alle mit der Veränderung umgehen können. Eifersucht kann am Anfang auftreten oder sich mit der Zeit entwickeln. Die Bedürfnisse des Babys müssen oft unmittelbar gestillt werden und ältere Kinder dürfen lernen zu warten. Akzeptiere die auftretenden Gefühle, alle dürfen sein – auch bei dir! 

Es hat sich oft als hilfreich erwiesen, dass beide Elternteile exklusive Zeit mit dem “grossen” Kind verbringen. Das braucht gute Absprachen und Organisation. So viel Nähe kann ausserdem herausfordernd sein und ich möchte alle Mamas bestärken, Zeiten für sich selbst zu finden, um wieder aufzutanken. Wer das Baby auf dem Rücken trägt, hat die Arme frei, um zu spielen und zu umarmen. 

Es ist auch ganz normal, wenn das Ältere wieder mehr Unterstützung braucht beim Anziehen, Treppen steigen u.v.m. Es ist der Wunsch, gesehen zu werden und es beugt Frust vor, diesem Bedürfnis zu entsprechen. Vielleicht schaffen es die Eltern nicht immer, das ist völlig normal, wir dürfen dann freundlich mit uns umgehen und es uns verzeihen. 

Möchtest du vor der Geburt nochmals intensiv Zeit mir deinem/deinen grösseren Kindern nutzen und das Thema “Ein Baby kommt an” thematisieren? Dann besuch doch den Geschwisterkurs im Geburtshaus Zürcher Oberland oder schau nach einem in deiner Nähe unter www.geschwisterkurse.ch 

Text: Nicole Pulver 

Foto: Simona Dietiker, Dokumentarische Familien- und Geburtsfotografin, https://momolandphoto.ch/

 
 

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